Der Schmorbraten-Mythos: Wie lange muss Wein kochen, bis der Alkohol wirklich weg ist?

Der Schmorbraten-Mythos: Wie lange muss Wein kochen, bis der Alkohol wirklich weg ist?

Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie schon eine Nudelsoße mit Weißwein abgelöscht oder einen Braten in Rotwein geschmort und ganz entspannt gedacht: „Passt schon, der Alkohol verdampft ja sowieso beim Kochen“? Ich dachte das auch. Immer. Doch hier kommt die Überraschung, die Ihren Kochalltag neu ordnen wird.

Der weit verbreitete Glaube, dass Alkohol bei Hitze vollständig verschwindet, ist ein hartnäckiger Mythos, der unsere Küchen dominiert. Wenn Sie für Kinder, trockene Alkoholiker oder einfach nur aus Prinzip alkoholfrei kochen möchten, müssen Sie dieses Wissen unbedingt kennen. Lesen Sie jetzt, wie viel Alkohol wirklich im Essen bleibt – selbst nach Stunden.

Der Schock nach 30 Minuten: Wie viel Promille steckt noch im Essen?

In meiner langjährigen Praxis habe ich bemerkt, wie viele Hobbyköche in Österreich diesen Irrtum teilen. Man geht davon aus, dass Alkohol (Siedepunkt 78°C) schneller verdampft als Wasser (100°C), und das ist technisch gesehen richtig. Aber hier kommt der Haken: Wir kochen nicht mit reinem Alkohol, sondern mit Wein oder Bier, die viel Wasser enthalten.

Forscher der Universität Idaho haben das nachgemessen, und die Ergebnisse sind definitiv überraschend:

  • Wird eine Soße mit einem Schuss Alkohol verfeinert und nur kurz aufgekocht, bleiben noch erstaunliche 85 Prozent des Alkoholgehalts erhalten.
  • Selbst wenn Sie Ihr Gericht 30 Minuten lang sieden lassen, sind noch 35 Prozent des Alkohols auf dem Teller.
  • Der Gipfel: Selbst nach zweieinhalb Stunden Köcheln oder Schmoren finden sich noch vier bis sechs Prozent des ursprünglich verwendeten Alkohols im Gericht.

Das bedeutet: Die Bratensauce am Sonntag ist oft weniger „alkoholfrei“ als Sie denken.

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Die Wissenschaft der Verdampfung: Warum das Kochen nicht alles ist

Der Restalkohol im Essen hängt von mehreren Faktoren ab, die viele von uns beim Kochen schlicht übersehen. Es ist ein bisschen wie in der Politik: Es kommt auf das Mischverhältnis an.

Drei entscheidende Faktoren für den Restalkohol:

1. Das Mischverhältnis: Je höher der Wasseranteil (z.B. in Saucen), desto langsamer entweicht der Alkohol. Wenn Sie viel Wasser und nur einen kleinen Schuss Wein verwenden, kann der Alkohol besser entweichen als bei einer sehr alkoholreichen Basis.

2. Die Zubereitungsart – Der Deckeltrick: Meine Kollegen in Dänemark (Universität Kopenhagen, 2017) haben gezeigt, dass die Art der Zubereitung einen massiven Unterschied macht. Schmoren in einem Topf mit Deckel hält deutlich mehr Alkohol zurück als das Köcheln in einem offenen Topf. Wenn Sie den Alkohol reduzieren wollen, lassen Sie den Deckel weg!

3. Der Zeitpunkt der Zugabe: Wird der Alkohol am Anfang hinzugefügt und lange eingekocht, verdampft mehr. Wird er am Ende nur kurz vor dem Servieren zugegeben („Ablöschen“), bleibt fast der gesamte Gehalt erhalten. Viele übersehen diesen Punkt.

Die Ernährungswissenschaftlerin Daniela Krehl bringt es auf den Punkt: „Eine pauschale Antwort gibt es nicht, da es davon abhängt, wie viel Alkohol und welche anderen Zutaten verwendet worden sind. Aber es bleiben immer geringe Mengen Alkohol übrig.“

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Der Praktische Wert: So ersetzen Sie Rotwein ohne Geschmacksverlust

Wenn Sie absolute Sicherheit wünschen – sei es für die Kinderjause, Ihre Schwangerschaft oder einen trockenen Freund aus der Nachbarschaft im 16. Wiener Bezirk – sollten Sie den Alkohol komplett weglassen. Aber wie bekommt man dann die Tiefe und Säure in die Sauce, die Rotwein normalerweise liefert?

Hier ist ein einfacher, aber genialer „Lifehacker“-Tipp, der in vielen Haubenküchen angewandt wird:

  • Für die Rotwein-Tiefe: Ersetzen Sie Rotwein durch eine Mischung aus starker Rinder- oder Gemüsebrühe und einem Schuss Traubensaft (für die Süße und Fruchtigkeit) oder alternativ einer Prise Balsamico-Essig (für die Säure). Der Balsamico liefert die notwendige Komplexität.
  • Für die Weißwein-Frische: Verwenden Sie hochqualitativen Apfelsaft oder hellen Traubensaft, kombiniert mit etwas Zitronensaft, um die Säure zu erhöhen. Für die Bratenkruste in der Pfanne funktioniert auch alkoholfreies Bier oft erstaunlich gut als Ablöschflüssigkeit.

Merken Sie sich: Fruchtsäfte und Essig sind die geheime Zutat, um die Aromenvielfalt des Weins zu imitieren. Ich habe in meiner Testküche festgestellt, dass die meisten Gäste den Unterschied nicht bemerken, solange die Würze stimmt.

Ein interessanter Nebeneffekt, den viele in Österreich kennen

Vielleicht leiden Sie neuerdings nach einem Glas Rotwein unter Kopfschmerzen oder Schnupfen? Viele Österreicher bemerken dieses Phänomen. Hier könnte nicht der Alkohol das Problem sein, sondern eine Histaminunverträglichkeit, die oft bei langen Rotweinen auftritt. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

Fakt ist: Der Mythos des komplett verdampfenden Alkohols ist entlarvt. Nun sind Sie dran: Werden Sie in Zukunft anders kochen? Oder hatten Sie diesen Mythos schon durchschaut?

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